Die Koronaforschung der Eidg. Sternwarte auf dem «Tschuggen» in Arosa
Mitte der 1930er Jahren widmete sich die Eidgenössische Sternwarte in Zürich (Sempersternwarte) der, damals noch nicht sehr erforschten, Koronaforschung der Sonne. Die Sonnenflecken waren seit frühen Zeiten bekannt, sie wurden aber erst seit der Erfindung des Fernrohres vor etwa 400 Jahren dokumentiert. Die Korona der Sonne liess sich bis anhin nur bei einer totalen Sonnenfinsternis, während wenigen Minuten, erforschen. Der Physiker und Ingenieur Bernard Ferdinand Lyot (1897-1952) erfand 1931 ein «Spezialfernrohr», mit welchem eine künstliche Sonnenfinsternis herbeigeführt werden kann, einen sog. Koronagraphen.
Der damals als junger Assistent an der Eidg. Sternwarte arbeitende Max Waldmeier war begeistert von der neuen Erfindung; er stellte seinem Chef Prof. William Brunner ein langfristiges Programm zur Korona-Erforschung vor, zu dessen Zweck ein eben solcher Koronagraph erforderlich war. Waldmeier, als Aargauer wollte einen solchen bei der Firma Kern, Aarau herstellen lassen. Dieser Plan wurde jedoch vom Schweizerischen Schulrat abgelehnt. Glücklicherweise stellte daraufhin die Stiftung für wissenschaftliche Forschung der Uni Zürich die Mittel zur Verfügung und das Instrument konnte gebaut werden.
Um den brandneuen Kern-Koronagraphen zu testen, stellte der Hobbyastronom Friedrich Buser (1894-1939) sein «Chalet-Sternschnuppe» zur Verfügung. Damit das Instrument in seinem Turm Platz hatte, musste allerdings zuerst die Kuppel besagten Gebäudes umgebaut werden. (Arosa eignet sich dank seiner Höhe und seiner relativ sauberen Luft gut für die Sonnenbeobachtung). Für seine Messungen erhielt Friedrich Buser von der ETH eine Entschädigung von Fr. 50.- pro Monat.
Chalet «Sternschnuppe» vorher Nach Plazierung des Kern-Koronagraphen
Diese Messungen erwiesen sich als sehr erfolgsversprechend und so beschloss die ETH Zürich, eine eigene Station in Arosa zu erstellen. Als dafür geeigneten Ort entschied man sich für ein Grundstück der Bürgergemeinde Chur, gelegen auf dem «Tschuggen», 2050m.ü.M. Es wurde ein Baurechtsvertag erstellt und im August 1939 mit einem Minimalbauprogramm begonnen. Das Gebäude umfasste die grosse Kuppel mit dem Koronagraphen von Kern sowie drei Nebenräumen; ebenso gab es elektrischen Strom, Wasser und Telefon. Bereits am 14. Dezember 1939 konnte Max Waldmeier mit dem Koronagraphen erste Beobachtungen in der neuen Station machen. Er entschuldigte sich, dass die Bauarbeiten wegen des Ausbruchs des 2.Weltkrieges nicht früher abgeschlossen werden konnten.
Im laufe der Jahre wurde das Astrophysikalische Observatorium Tschuggen sukzessive ausgebaut, 1944 kam das Wohngebäude und der lange Gang mit dem Coelostaten dazu, 1965 wurde die kleine Kuppel, welche den Coudé-Refraktor von der Expo in Lausanne beherbergte, erstellt.
Observatorium ca. 1948
In Jahr 1965 erfuhr die grosse Kuppel durch hinzufügen eines grossen Zeiss-Koronagraphen eine grössere Veränderung. Prof. Waldmeier, seit 1945 Direktor der Eidg. Sternwarte, hielt jedoch an seinem «alten» Kern-Koronagraphen fest und liess diesen auf das neue Zeiss-Gerät huckepack montieren.
Zeiss-Koronagraph mit dem Kern-Koronagraph huckepack (dunkelgraues Gerät)
Um seine intensiven Forschungen an der Sonne durchführen zu können, verbrachte Prof. Waldmeier bis etwa mitte der 1970er Jahre jeweils zwischen drei und sechs Monaten auf dem Tschuggen, oft zusammen mit seiner ganzen Familie. Nachdem er 1979 schliesslich in Pension ging, nahmen die Aktivitäten auf dem Tschuggen rapide ab, der Nachfolger von Waldmeier setzte andere Prioritäten in der Sonnenbeobachtung. Das Observatorium verwaiste zunehmend und der Kern-Koronagraph «verschwand» einfach, niemand wusste, wo er sich befand; weil aber fast niemand mehr Forschung in Arosa betrieb, wurde er eigentlich gar nicht vermisst.
2002 Entschloss sich die ETH das Observatorium «wegen Nichtgebrauch», aufzugeben. Der Baurechtsvertag von 1939 sah in diesem Fall einen Rückbau, sprich Abriss vor, Kostenpunkt mehr als Fr. 500'000.- Als Grundstückbesitzerin unterbreitete die Bürgergemeinde Chur, der ETH jedoch eine Idee für einen Handel. Nach Bezahlung einer «Ablösesumme» entliess die Bürgergemeinde die ETH aus dem Vertrag und übernahm das Gebäude von der ETH in den eigenen Besitz. Wie schon bisher blieb es der Öffentlichkeit weiterhin unzugänglich.
Einem ehemaligen Mitarbeiter der Firma Kern in Aarau liess der Verbleib des viel zitierten Koronagraphen hingegen keine Ruhe. Doch auch er konnte 2017, anlässlich eines Besuches im Observatarium auf dem Tschuggen, nur dessen Fehlen feststellen.
Doch plötzlich kam Bewegung in die Sache: Im Dezember 2020 tauchte im Internet und in einschlägigen Astroforen ein Angebot über den vermissten Kern-Koronagraphen auf.
Der Verkäufer war 1980 selbst ein junger Student in Zürich; per Zufall entdeckte er den Koronagraphen, welcher bereits zur Entsorgung abholbereit war, rettete diesen und lagerte ihn 40 Jahre bei sich. Nun also wollt er ihn unter den erwähnten Bedingungen wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Interesse an diesem Gerät war auf der ganzen Welt enorm, alle wollten dieses Gerät erwerben.
Es folgten viele Bemühungen, unzählige Telefonate und Diskussionen, doch schliesslich war es geschafft. Dank der Einwilligung der Bürgergemeinde Chur, der Astronomischen Arbeitsgemeinschaft Aalen und der Astronomischen Gesellschaft Graubünden, konnte der Kern Koronagraph wieder an seinen angestammten Platz in der grossen Kuppel des Observatoriums auf dem Tschuggen zurückgebracht werden.
Kern-Koronagraph, wie er bis 1965 in der grossen Kuppel stand